Das Neugeborenenscreening ist eine der wichtigsten Vorsorgeuntersuchungen direkt nach der Geburt – es kann Leben retten, noch bevor erste Symptome auftreten. Ab Mai 2026 wird das Screening in Deutschland um vier weitere Erkrankungen erweitert, darunter ein bislang oft übersehener Vitamin-B12-Mangel und drei seltene Stoffwechselstörungen. Für Eltern bedeutet das: noch mehr Sicherheit und Chancen auf eine gesunde Entwicklung ihres Babys. In diesem Beitrag erfährst du, welche Krankheiten bisher untersucht wurden, was sich 2026 genau ändert und warum das erweiterte Screening für dein Kind so wichtig ist.
Inhalt
Was ist das Neugeborenenscreening?
Das Neugeborenenscreening (auch: erweitertes Screening, ENS) ist eine Vorsorgeuntersuchung für Säuglinge am zweiten oder dritten Lebenstag. Meist erfolgt das Screening bei der U2: Dem Baby werden aus der Ferse ein paar Tropfen Blut entnommen. Diese landen auf einer Filterpapierkarte, die sofort ins Labor geschickt wird. Das Blut wird dort auf potenziell lebensbedrohliche angeborene Erkrankungen untersucht. Innerhalb von 24 Stunden gibt es meist schon Ergebnisse. Ist das Blut unauffällig, gibt es keine Nachricht. Liegt allerdings ein auffälliger Befund vor, meldet sich das ärztliche Personal üblicherweise innerhalb von 72 Stunden, um weitere Untersuchungen zu veranlassen.
Warum ist das Screening so wichtig?
Viele der getesteten Erkrankungen zeigen keine unmittelbaren Symptome nach der Geburt. Bleiben sie jedoch unbehandelt, können sie
- Stoffwechselstörungen verursachen
- Organ- und Hirnschäden zur Folge haben
- zu Entwicklungsverzögerungen führen, ein Koma auslösen oder sogar tödlich enden.
Ein frühzeitiges Erkennen der Krankheiten ermöglicht eine sofortige Behandlung, bevor es zu möglichen Schäden kommt. Das erspart deinem Kind Leid und schenkt ihm Lebensqualität.
Neugeborenenscreening: Bisher untersuchte Erkrankungen
Seit den ersten Programmen in den 1960er/70er Jahren – z.B. der Guthrie-Test für Phenylketonurie), wurde das deutsche Screening stetig erweitert. Aktuell umfasst es rund 16 Erkrankungen:
- Primäre Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)
- Adrenogenitales Syndrom
- Biotinidasemangel
- Galaktosämie
- Phenylketonurie (PKU)
- Ahornsirupkrankheit (MSUD)
- LCHAD-, VLCAD-Mangel
- MCAD-Mangel
- Carnitinzyklusdefekte (CPT I/II, CACT)
- Glutarazidurie Typ 1
- Isovalerianazidämie
- Mukoviszidose (CF)
- Tyrosinämie Typ I
- SCID (seit 2019)
- Spinale Muskelatrophie (SMA)
- Sichelzellkrankheit (SCD) und weitere seltene Stoffwechsel- oder Immundefekte
Seit der Einführung des erweiterten Neugeborenenscreenings im Jahr 2005 wurde die Liste nach und nach ergänzt – unter anderem durch Mukoviszidose (2016), Tyrosinämie (2018) sowie SMA und Sichelzellkrankheit (2021).
Positiver Befund? Das sind die weiteren Schritte
Ist das Blutbild auffällig, heißt es zunächst einmal: Keine Panik. Denn durch das frühzeitige Erkennen der Erkrankung können rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um dem Baby ein ideales Aufwachsen zu ermöglichen. Das sind die weiteren Schritte nach einem positiven Befund:
- Kontaktaufnahme: Die Laborärzt:innen kontaktieren die Eltern innerhalb von maximal 72 Stunden.
- Bestätigungsdiagnostik: Auffällige Sreening-Ergebnisse werden in spezialisierten Stoffwechselzentren oder in einer Kinderklinik gezielt untersucht und ggf. bestätigt.
- Therapiebeginn: Je nach Art der Erkrankung erfolgt eine Therapie mit Medikamenten oder entsprechender Ernährungsumstellung.
- Langfristige Nachsorge: Je nach Erkrankung ist es notwendig, langfristig auf eine angepasste Ernährung zu achten oder dem Baby bestimmte Medikamente zu verabreichen. Um sicherzugehen, dass es dem Kind gut geht, sind regelmäßige ärztliche Kontrolltermine wichtig.
Durch diese Vorgehensweise können Eltern sofort die passenden Rahmenbedingungen schaffen und dem Baby ein weitestgehend sorgenfreies Leben schenken.
Neugeborenenscreening: Neue Untersuchungen ab Mai 2026
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 15. Mai 2025 beschlossen, das Screening zu erweitern. Ab Mai 2026 stehen dann neue Tests zur Verfügung, die einen Vitamin-B12-Mangel und drei seltene Stoffwechselerkrankungen – Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie – erkennen können. Darum sind diese Tests wichtig:
Vitamin-B12-Mangel
Bleibt ein Vitamin-B12-Mangel beim Baby unerkannt, kann er ca. ab dem 6. Lebensmonat zu Wachstumsstörungen, Entwicklungsverzögerungen, Blutarmut und einer gestörten Gehirnentwicklung führen.
Ursachen für einen Vitamin-B2-Mangel:
- unzureichende Ernährung der Mutter (z.B. bei vegetarischer oder veganer Ernährung ohne geeignetes Supplementieren des Vitamins)
- Aufnahmestörungen von Nährstoffen im Darm
Behandlung:
- bei einem Mangel, der durch die Ernährung der Mutter bedingt ist: Kurzfristige Supplementierung von Vitamin B12
- Bei genetisch bedingtem Mangel: lebenslange Gabe von Vitamin B12
Homocystinurie
Homocystinurie ist eine seltene angeborene Stoffwechselstörung, bei der der Körper bestimmte Eiweißbestandteile nicht richtig abbauen kann. Dadurch sammeln sich schädliche Stoffe im Blut an, die unbehandelt unter anderem Augen, Gefäße und Gehirn schaden können.
Symptome:
- Sehverlust
- intellektuelle Beeinträchtigung
- Krampfanfälle
- Gefäßkomplikationen
Behandlung:
- Gabe von Vitamin B6, Folsäure, Betain
- proteinarme Ernährung
Propionazidämie
Propionazidämie ist eine seltene Stoffwechselerkrankung, bei der der Körper bestimmte Eiweiße und Fette nicht richtig abbauen kann. Dabei entstehen giftige Abfallstoffe, die zu schweren Stoffwechselkrisen, Entwicklungsstörungen oder sogar zum Koma führen können.
Symptome:
- Erbrechen und Appetitlosigkeit
- Muskeltonusstörungen
- Atemprobleme
- Bewusstseinsveränderungen bis hin zu Krampfanfällen und Koma
Behandlung:
- Angepasste Ernährung: Vermeidung von bestimmten Aminosäuren, protein- und fettarme Ernährung
- Medikamentöse Therapie mit Carnitin
- Biotin als Nahrungsergänzung
- in schweren Fällen: Dialyse
Methylmalonazidurie
Methylmalonazidurie – auch Methylmalonazidämie genannt – ist ebenfalls eine seltene angeborene Stoffwechselerkrankung. Bei dieser Stoffwechselerkrankung kann der Körper eine bestimmte Fettsäure und einige Aminosäuren nicht richtig abbauen, wodurch sich schädliche Stoffwechselprodukte im Blut anreichern können. Das kann zu schweren Stoffwechselkrisen, Entwicklungsverzögerungen und Organschäden führen.
Symptome:
- Schläfrigkeit
- Erbrechen
- schwache Muskelspannung (Hypotonie)
Behandlung:
- angepasste Ernährung
- Enzymersatz
- ggf. Gabe von Vitamin B12
Häufige Fragen zum Neugeborenenscreening
Macht man das Screening freiwillig?
Ja – mit schriftlicher Einwilligung, die Teil der Routine bei der U2 ist.
Tut das weh?
Es sind nur wenige Tropfen Blut aus der Ferse – vergleichbar mit einem Pieks. Das wird deinen Schatz sicherlich nicht erfreuen, aber bedenke: Mit wenigen Tropfen kann das ärztliche Personal bereits viele Informationen zu möglichen Erberkrankungen erhalten.
Können auch Mehrlingsbabys mit diesem Screening getestet werden?
Ja, jedes Baby wird einzeln getestet.
Was passiert bei einem positiven Befund?
Laborärzt:innen informieren, weitere Diagnostik folgt und ggf. Therapie.
Können die Ergebnisse falsch sein?
In sehr seltenen Fällen ja. Dann folgt eine Kontrolluntersuchung.
Was, wenn ich Bedenken habe?
Sprich am besten mit deiner Hebamme oder dem Kinderarzt bzw. deiner Kinderärztin. Sie klären dich in Ruhe über den Ablauf auf und können dir Sorgen nehmen.
Quellen
Gemeinsamer Bundesausschuss | MSD Manual Homocystinurie| MSD Manual Methylmalonazidurie & Propionazidämie | Uni Heidelberg |DGNS | Kinder- & Jugendärzte im Netz